INTERVIEW MIT VERENA PAUL, DER GRÜNDERIN VON LOVJOI

Es ist kaum zu glauben, dass das Fashion-Label LOVJOI erst vor knapp fünf Jahren gegründet wurde. Denn schon jetzt ist es aus der Eco-Fashion-Szene nicht mehr wegzudenken. Neben vier vollumgänglichen Kollektionen pro Jahr, gibt es jetzt sogar eine Unterwäsche-Kollektion. Uns hat Verena, der Gründerin von LOVJOI, verraten, wie es hinter den Kulissen des Labels aussieht, wie und wo sie ihre Klamotten produzieren und wie es zu der Zusammenarbeit mit Geflüchteten aus Syrien kam.

Der Bra EVENING PRIMROSE besteht zu einem Großteil aus recycelten Materialien

Avocadostore.de: Verena, du hast LOVJOI 2014 gegründet. Wie kam es dazu?

Verena Paul: Ich habe 2012 einen Bio-Supermarkt auf dem Land übernommen. Davor arbeitete ich in Stuttgart in einer Werbeagentur. Nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, dass sich mein „alter“ Kleiderschrank nicht mit den hohen ökologischen Standards vertreten lässt, die ich im Laden verkaufte. Ich wollte nicht in Inditex-Klamotten (Anmerkung: Inditex ist eines der größten Textilunternehmen der Welt, dazu gehört zum Beispiel Zara) Demerter-Produkte verkaufen. Also begab ich mich auf die Suche nach nachhaltiger Kleidung, die aber genauso modisch ist, wie das was ich früher zu Marketingzeiten trug. Das war die Geburtsstunde von LOVJOI.

Seit 2014 ist viel passiert: Angefangen hat alles mit einer kleinen T-Shirt-Kollektion. Inzwischen bringt LOVJOI vier vollumfängliche Kollektionen pro Jahr heraus und jetzt erscheint auch noch eure erste Unterwäsche-Linie. Wie sieht das schnelle Wachstum hinter den Kulissen aus?

Wir haben 2014 zu zweit mit einer Haushaltsnähmaschine und zwei Schreibtischen in einer Postfiliale angefangen. Wir hatten keinen eigenen Eingang und haben unsere ersten Stoffbahnen als Raumtrenner verwendet. Wenn man so startet, ist alles, was danach kommt, eine Verbesserung. Die ersten Jahre bestanden aus einer Art Tetris-Büro. Jede Woche musste ein Regal verschoben, ein Tisch hinzugestellt und eine Maschine gekauft werden. Wir eroberten uns innerhalb der folgenden drei Jahre an diesem Standort noch weitere fünf Räume und der Zuschnitt fand im Keller statt. Es ging zu wie im Taubenschlag und Telefonate neben den ratternden Nähmaschinen zu führen war nahezu unmöglich geworden. Es bedeutet starke Nerven und maximale Flexibilität. Mittlerweile sind wir 16 Leute und ein größeres Team bedarf ganz anderer Abläufe und Systeme in der Produktionsleitung, sowie dem Backoffice.

Beschreib doch bitte mal den typischen LOVJOI-Stil.

LOVJOI ist ein Stil für anspruchsvolle Frauen, die um ihre Power wissen, die sich für eine bessere Welt einsetzen, für die Zukunft, für ihre Überzeugungen. Für Frauen mit Ausstrahlung und Selbstbewusstsein, die ihre Weiblichkeit lieben. Unsere Schnitte haben eine wahnsinnig gute Passform, sind mal weiblich-verspielt und mal geradlinig-lässig, aber haben immer ein gewisses Etwas. Klassisch, sexy, edel und immer individuell. Wir wollen unseren Kundinnen keinen Stil aufzwingen, sondern die Freiheit lassen, daraus ihr ganz eigenes Ding zu machen.

Was macht eure Unterwäsche-Linie aus?

Die Kollektion von LOVJOI Intimates bietet von Teilen aus reiner Bio-Baumwolle bis hin zu Schalen-BHs mit recycelter Spitze und Kombinationen aus transparentem Tüll aus Reco Nylon und ROICA für jedes Bedürfnis ein Lieblingsstück. Uns war es sehr wichtig, alles abzubilden – vom Slip über die Panty bis zum Tanga und vom ungefütterten Triangel Bra für kleine Brüste bis zum Schalen BH für große Cups. Und zwar alles in einem echten LOVJOI-Design. Unsere Schalen kommen außerdem anders als die meisten handelsüblichen BHs ohne Giftstoffe, also ohne Polyurethan- und ohne Silikonschaum aus. Wir befreien die Brüste von toxischen Inhaltsstoffen und bieten eine echte Alternative zu konventionellen Wäschemarken.

Der Bra MEADOW SWEET aus 95 Prozent Bio-Baumwolle ist ein Teil der Unterwäsche-Kollektion

Wie und wo produziert ihr eure Kollektionen?

Die LOVJOI-Stücke werden seit jeher in unserem Headquarter in Oberschwaben produziert. Wir haben unsere eigene Produktion während der Label-Gründung mit aufgebaut. Das kam so zustande, dass die Stückzahlen in Fremdproduktionen zu Beginn so hoch waren, dass wir nicht ins Blaue Ware produzieren wollten, ohne zu wissen, ob es überhaupt jemand kauft. Mit der eigenen Produktion können wir jederzeit das herstellen, was gerade gefragt ist. Und so machen wir es bis heute. Das vermeidet Sales und Warenüberhänge – sogenannte Altbestände, die bei manchen konventionellen Labels sogar geschreddert werden.

Unsere Unterwäsche lassen wir in Portugal herstellen. Hier haben wir eine Produktion gefunden, die unser Herz höher schlagen ließ. Eine Chefin und 70 Näherinnen mitten auf dem Land südlich von Porto. Diese „Female Power“ hat uns sehr an unsere eigene Produktion erinnert, in der auch viele starke Frauen arbeiten. Da unsere Intimates Kollektion für weibliche Stärke steht, ist uns die Entscheidung für diesen Standort leicht gefallen. Noch dazu stellen sie seit Jahrzehnten als Familienbetrieb Wäsche für sehr hochwertige Labels her und der Punkt Qualität und Know-How war für diese Produktlinie, die wir erstmals nicht bei uns herstellen lassen, sehr wichtig.

Ihr arbeitet in eurem Headquarter mit Flüchtlingen aus Syrien zusammen. Wie kam es dazu?

Hier in der Region bin ich als grüne Stadträtin und Biomarkt-Betreiberin ein sogenannter „bunter Hund“. Als ich dann noch anfing Ökomode zu produzieren hielten mich hier viele Leute vollends für durchgeknallt. Das Gute an so einem Ruf ist, dass die Menschen überregional wussten, dass ich fair und sozial eingestellt bin und mich für Flüchtlinge einsetze. Als wir unsere ersten Stellenausschreibungen veröffentlichten, wurden uns von einigen ehrenamtlichen Helferkreisen Flüchtlinge vorgestellt, die in ihrer Heimat als Schneider gearbeitet hatten. Das war faszinierend, denn wir hatten die Stelle ganz offiziell und ohne die Bedingung eines Migrationshintergrundes ausgeschrieben. Wir haben schlichtweg Industrienäher gesucht und da die Textilproduktion hier in Oberschwaben schon vor Jahrzehnten abgewandert ist, hatten die heimischen Näherinnen bereits alle in neue Berufe umgeschult.

Die Arbeit im LOVJOI-Headquarter am Rande der schwäbischen Alb

Ihr produziert eure Sachen „just in time“. Das heißt, das Kleidungsstück wird erst gefertigt, wenn es auch bestellt wurde. Welchen Vorteil hat das?

Die Vorteile sind vor allem, dass wir keine großen Lagerbestände pflegen müssen, die möglicherweise irgendwann im Sale landen und sozusagen „verscherbelt“ werden, sondern alles, was wir produzieren wird vorher von jemandem gewünscht. Eine Onlinebestellung wird einmal am Tag erfasst und landet dann direkt im Zuschnitt. Nach dieser Station wird es genäht, gefinisht und gebügelt. Danach kommt es „frisch“ aus der Produktion direkt in den Versand – innerhalb von 1-3 Werktagen.

Kannst du uns schon verraten, was in Zukunft passieren soll? Gibt es nach der Unterwäsche-Kollektion noch weitere Überraschungen?

Die erste Überraschung war zu Beginn des Jahres unser Zusammenschluss mit dem veganen Streetwear Label ThokkThokk in München. Wir ergänzen uns sehr gut und arbeiten im Hintergrund zusammen. Trotzdem behalten beide Marken ihre Identität und werden von mir in die Zukunft begleitet. Bei LOVJOI arbeiten wir nach der Intimates bereits an der nächsten Herausforderung: der Entwicklung einer ökofairen non-toxic denim Kollektion.