RAUS AUS DEM HAMSTERRAD MIT EINEM GUTEN PLAN!

Anfang Januar, die Feiertage sind vorbei und der Alltag geht weiter. Und jedes Jahr dasselbe: Wer zum neuen Jahr noch euphorisch gute Vorsätze gefasst hat, ist in der Regel wenige Woche nach dem Jahreswechsel schon wieder im gleichen Hamsterrad wie zuvor gefangen. Ambitionierte Vorhaben verlieren wir langsam aber sicher aus dem Blick. Was du heute kannst besorgen, das geht bestimmt auch noch morgen. Oder übermorgen.

Wie schafft man das, den Schweinehund zu überlisten? Jan und Milena von „Ein guter Plan“ haben einen Terminkalender entwickelt, der sich genau das zum Ziel gemacht hat. Ihr Grundsatz: „Das wichtigste Buch in deinem Leben sollte über dein Leben sein.“ Was das heißt, und wie das funktionieren soll, haben wir Jan Lenarz, Geschäftsführer von „Ein guter Plan“, gefragt und uns von ihm ein paar Impulse für ein achtsames Leben geben lassen. Aber Achtung: „Ein guter Plan“ ist kein Wellness-Buch. Wirklich nachhaltige Veränderungen kann es nur geben, wenn wir uns trauen, unsere Grundsätze, Entscheidungen und Routinen schonungslos auf den Prüfstand zu stellen – und das kann auch schmerzhaft sein. Aber es kann auch zur Erkenntnis führen, dass gerade alles gut ist.

Avocadostore: Gibt es einen konkreten Moment oder eine Situation, die dich mit dem Thema Achtsamkeit in Berührung gebracht hat bzw. dich dazu gebracht hat, im Alltag mehr auf dich zu achten?

Jan: Ja, die gab es auf jeden Fall. Vor drei Jahren hatte ich einen Burn-out, nachdem ich mich jahrelang als Designer, Berater und Sozialunternehmer selbst ausgebeutet hatte. Meine Selbstdiagnose hieß Depression, aber meine Therapeutin schickte mich in den Urlaub und erklärte mir, dass ich zuallererst mal entspannen muss. Für mich war das der Ausgangspunkt, um mich mit Stressvermeidungsstrategien zu befassen. Also eigentlich das, was wir heute unter Achtsamkeit zusammenfassen – den Begriff kannte ich da aber noch gar nicht.

Jan und Milena von „Ein guter Plan“

Avocadostore: Wie ist die Idee zu eurem Kalender „Ein guter Plan“ entstanden?

Jan: Ich habe auf meine Therapeutin gehört und bin dann für drei Monate nach Mexiko gereist, um meine Lebensweise und meine Werte zu hinterfragen. Das war ein intensiver Prozess: Schritt für Schritt bekam ich eine Ahnung davon, was ich die letzten Jahre alles falsch gemacht hatte. Die Glorifizierung von Stress und der Wunsch, um jeden Preis erfolgreich zu sein, haben mich in den Burn-out getrieben. Ich habe dann für mich entschieden, diesem Leistungsdruck nicht länger nachzugeben und mir ein neues Wertesystem aufzubauen. Ich bin – so klischeehaft das klingen mag – als neuer Mensch von dieser Reise zurückgekehrt. Zu Hause hatte sich nicht viel geändert. Meinen Freunden aus der nachhaltigen Start-up-Szene ging es fast allen genau so, wie mir zuvor auch: Nachtschichten, Deadlines, voller Einsatz für irgendwelche unwichtigen Awards. Meine gute Freundin Milena Glimbovski, die Gründerin von Original Unverpackt, aber war ähnlich ausgebrannt wie ich vor meiner Reise: Auch sie hatte einen Tiefpunkt erreicht. Da beschlossen wir beide, in Zukunft aufeinander aufzupassen und uns Techniken anzueignen, die uns dabei unterstützen. Dass man sich täglich um sich selbst kümmern sollte, war ziemlich schnell klar. Ein Terminkalender schien dabei ein probates Mittel zu sein, um am Ball zu bleiben. Was Achtsamkeit ist, wussten wir da aber immer noch nicht.

Avocadostore: Das Thema Achtsamkeit trifft den Nerv einer Zeit, in der – wie du selbst gesagt hast – Stress glorifiziert wird. In vielen Gesprächen, sei es am Arbeitsplatz, am Tresen oder beim Arzt, landet man schnell bei der Feststellung: „ Ich müsste wirklich mal mehr auf mich achten.“ Oft, um dann bereits am nächsten Tag wieder im gleichen stressigen Hamsterrad wie zuvor zu stecken. Wie hilft euer Kalender mir dabei, diesem Kreislauf zu entkommen?

Jan: Als wir das Crowdfunding für „Ein guter Plan“ vorbereiteten, wurden wir von mehreren Menschen darauf aufmerksam gemacht, dass es bei unserem Konzept im Kern um Achtsamkeit geht. Der Begriff passte gut, denn auf sich aufzupassen und dabei achtsam in sich zu horchen, ist eine wichtige Strategie. Wir nennen es aber manchmal auch Machtsamkeit, denn mit Achtsamkeit allein ist das Leben noch nicht geändert. Man muss auch machen und sich bewusst dazu entscheiden. Das beginnt damit, sein Leben zu ändern, schlechte Gewohnheiten abzulegen oder sich zuallererst einfach einzugestehen, dass man keine Maschine ist und immer reibungslos funktionieren kann. Probleme kann man nur erkennen, indem man einen Schritt zurückmacht, eine andere Perspektive einnimmt und sich ehrlich hinterfragt. Was mache ich mit mir? Der wichtigste Tipp hat also mit Stolz zu tun: sich einzugestehen, dass man im falschen Leben steckt. Dazu gehört viel Mut. Unser Buch hilft dabei, indem es durch recht intime Fragen die Nutzer*innen in diese Richtung stupst. Wenn man diese Fragen wirklich ehrlich beantwortet, kommen häufig schädliche Glaubenssätze ans Tageslicht, z.B.: „Ich darf nur mit mir zufrieden sein, wenn ich etwas Tolles geleistet habe.“ Der innere Kritiker wird benannt und anerkannt. Im Terminkalender-Abschnitt geht es dann darum, sich auszuprobieren neuen Gewohnheiten einen Raum zu geben und ein neues Selbstbild zu entwickeln. Die monatlichen Reflexionen, die wöchentlichen Tipps und die Achtsamkeits-Ampel helfen dabei.

Avocadostore: Euer „guter Plan“ hat sich über 60.000-mal verkauft. Hat euch dieser Erfolg überrascht? Welches Feedback habt ihr bekommen?

Jan: Der Erfolg überrascht uns immer noch. Täglich. Jedes Jahr verdoppeln wir die Auflage, um dann doch wieder frühzeitig ausverkauft zu sein. Das Buch kriegt man kurz vor Weihnachten dann oft nur noch für den doppelten und dreifachen Preis in Kleinanzeigenforen. Das ist schon verrückt. Das Feedback ist fast ausschließlich positiv. Wir bekommen täglich Nachrichten, und Menschen schreiben uns, was sie durch das Buch alles geändert haben, wie viele Tränen bei manchen Fragen geflossen sind oder wie viel Freude aufmunternde Tipps und Zitate bereitet haben. Es geht vielen so, wie es uns auch ergangen ist: Sie sind ausgelaugt und denken, so muss das in der turbokapitalistischen Welt eben sein. Dann zu merken, dass das so nicht ok ist und dass man nicht allein ist, bestärkt unsere Nutzer*innen ungemein. Aber es gibt auch Kritik. Es gibt Leute, denen missfällt es einfach, dass wir das Wettrennen um Erfolg hinterfragen. Einige werden richtig wütend, wenn wir sagen, dass es für uns nicht darum geht, möglichst viele Aufgaben zu lösen und den Selbstwert darüber zu definieren, wie viele Probleme man aus dem Weg geräumt hat. Wir hatten sogar mal eine Rückmeldung, in der es jemand dreist fand, dass wir das Leben viel zu positiv sehen würden – für die Person war es eine Anhäufung von Problemen und so wollte sie es auch von uns dargestellt sehen. Positives Denken ist für viele nach wie vor Naivität. Solange nicht alle Probleme auf der Welt gelöst sind, dürfe man nicht glücklich sein, wird suggeriert. Ich glaube aber, dass man viel mehr Positives bewirken kann, wenn man zufrieden und voller Optimismus ist.

Avocadostore: Erfolg heißt oft auch noch mehr Stress, mehr Nachtarbeit, mehr Überlastung – wie seid ihr damit umgegangen?

Jan: Mit dem Erfolg kam natürlich eine neue Arbeitsbelastung. Aber Erschöpfung entsteht nicht durch ein großes Arbeitspensum. Geringe Wertschätzung, ein Job der nicht den eigenen Werten entspricht, Hoffnungslosigkeit, die zu Existenzängsten führt, das sind alles Gründe, die uns Arbeit als kraftraubend empfinden lassen. Das trifft bei der Arbeit an „Ein guter Plan“ einfach nicht zu. Noch ein Klischee, aber wir lieben unsere Jobs. Deswegen können wir gut damit umgehen, wenn es mal viel zu tun gibt. Nachtschichten gehören aber zum Glück nicht zu unserem Arbeitsalltag. Angeschlagen ins Büro zu kommen, ist auch für uns als Geschäftsführer verboten.

Avocadostore: Auf eurer Homepage kann man lesen, dass du und Milena entschieden habt, in Zukunft gegenseitig auf euch aufzupassen. Wie macht ihr das? Wie gut gelingt es euch?

Jan: Da ist nach wie vor unser Mantra. Wir sagen uns und dem Team so oft, doch mal einen Tag freizumachen, im Homeoffice zu arbeiten oder früher zu gehen – manchmal so oft, dass schon alle genervt reagieren. Aber wir nehmen das ernst. Der Wunsch, etwas zu leisten und das Team nicht allein zu lassen, ist in uns allen tief drin. Da ist es gut, wenn man immer wieder gesagt bekommt, dass es okay ist, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Ja sogar, dass nur mit Abstand wieder neue Impulse entstehen können. Im Alltag leben wir trotzdem nicht immer super achtsam. Zu viele Ideen wollen umgesetzt werden, da vergessen wir die eigenen Tipps ab und zu – aber das ist menschlich, und es gehört auch dazu, dabei nicht zu streng mit sich zu sein. Das fällt uns glücklicherweise dann immer recht schnell auf, und wir unternehmen gemeinsam etwas Schönes oder lassen ein Projekt auch mal gut sein.

Avocadostore: Wie habt ihr die „Achtsamkeits-Aufgaben“ in eurem Kalender entwickelt? Woher kam die Inspiration? Habt ihr alles auch selbst ausprobiert?

Jan: Als Aufgaben bezeichnen wir das bewusst nicht, jeder soll nur die Techniken anwenden, die ihr/ihm liegen. Die Inspiration ziehen wir aus unserem Alltag und dem Beobachten unseres Umfelds. Dieses Interview beantworte ich zum Beispiel gerade, obwohl ich schon Feierabend habe. Das ist nicht super achtsam, aber es macht mir trotzdem Spaß. Daraus kann ich dann einen Tipp entwickeln, der besagt, dass man sich nicht akribisch an Regeln halten muss – auch wenn sie eigentlich einen achtsamen Umgang mit der Arbeit fördern sollten –, sondern liebevoll mit sich sein sollte und sich nicht verurteilen darf. Nicht jeden Tag klappt das mit der Achtsamkeit so, wie man es sich vorgenommen hat, und solang man Spaß hat, ist das okay. Sich bewusst zu entscheiden und auf sich zu achten, ist kein Wettbewerb, und es gibt kein Richtig und Falsch. Das klingt jetzt profan, aber es hilft dabei, das Thema nicht zu verbissen anzugehen. Es sind also zum Teil ganz kleine Wahrheiten. Manchmal naiv, einige sehr speziell, mal sind sie auch sinnlos. Unser Buch ist nicht perfekt. Es kommt auch vor, dass wir uns für Tipps entschuldigen, wenn sich zeigt, dass diese unsere Nutzer*innen eher stressen – also genau das Gegenteil von dem bewirken, was wir fördern wollen. Wir sind keine Achtsamkeitsgurus und verstehen unseren Plan auch viel mehr als eine groß angelegte Spielwiese für den lustvolleren, achtsameren und unverkrampften Umgang mit dem immer effizienter durchgetakteteren Alltag.

Avocadostore: Gibt es konkret eine kleine Übung, die du mir verraten kannst, um ein bisschen mehr Achtsamkeit in meinen Alltag zu bringen?

Jan: Es gibt viele kleine Übungen wie Meditation und das Artikulieren von Dankbarkeit, die das Leben sehr fix etwas achtsamer machen. Aber ich möchte nicht, dass Achtsamkeit als reine Wellness-Strategie verstanden wird. Mein wichtigster Rat ist deswegen: Gehe einen großen Schritt zurück, schaue auf dein Leben und beantworte ehrlich, ob du gerade glücklich bist und nach deinen Werten lebst – bei den meisten Fällen ist das nicht zu hundert Prozent der Fall. Nimm dir dann 30 Minuten Zeit und schreibe auf, welche Glaubenssätze dich daran hindern. Schreibe auf, was du brauchst, um glücklich zu sein, und welche Menschen dich dabei unterstützen können. Das ist anstrengender, als dem Rat zu folgen „Atme zehnmal tief ein und aus und sage dir, dass alles gut wird“, aber es hat einen nachhaltigeren Effekt. Achtsamkeit darf kein Selbstzweck sein. Durch kleine Übungen das eigene Leid erträglicher zu machen, ist genau das, was wir nicht vermitteln wollen. Viel mehr wollen wir unsere Nutzer*innen dabei unterstützen, aus Routinen auszubrechen und aus einer neuen Perspektive kritisch und neugierig auf ihr Leben zu blicken. Anders ausgedrückt: Eine tolle Erkenntnis ist auch, dass eigentlich alles gut ist, wie es ist. Wenn man sich das bewusst macht, dann kann man dieses Gefühl der Rastlosigkeit und Unruhe minimieren. Das ist das, was ich mir gerade täglich sagen muss. Alles ist gut, aber ich will irgendwie ganz viel. Da eine Balance zu finden, ist zurzeit meine Herausforderung.

Danke für das interessante und inspirierende Interview, Jan.